Manchmal hilft nur die Kündigung, um die eigene Würde zu erhalten. Wie eine Unterlassung dazu führen kann, dass Mitarbeiter ihren Job kündigen, obwohl alles gut begann…
Übergriff
Eine kleine Randgeschichte, die sich kürzlich ereignete, gibt einen Einblick wie Führung von ‘unten’ vielerorts erlebt wird. Joanna, motiviert und selbstbewusst, startete kürzlich eine Projektleitungsposition in einem mittelständischen Unternehmen. Kurze Zeit später übernimmt sie die Stellvertretung einer Teamkollegin, die in den Urlaub ging. Während dieser Zeit erhielt sie eine dringende Anfrage, die in den Zuständigkeitsbereich ihrer Schreibtischnachbarin fiel. In Abstimmung mit ihrem Vorgesetzten traf sie eine überlegte Entscheidung. Nach dem Urlaub kam es zum Eklat. Joanna wurde von ihrer Kollegin angeschrien. „Was fällt dir ein! Wie blöd muss man sein?…und andere beleidigende Äusserungen. Im Grossraumbüro hörten viele Leute mit. Niemand schritt ein, auch nicht ihr Vorgesetzter. Er stand stumm daneben, obwohl er die Entscheidung mitzuverantworten hatte. Der wurde Konflikt weder unterbunden noch deeskaliert. Er schaute zu, wie eine hochemotionale Verbalattacke freien Lauf nahm. Joanna war so perplex, dass sie reaktionslos ‘einfror’. Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich bereits ein paar Wochen davor.
Das eigentliche Problem
Psychische Verletzungen finden in Arbeitsumgebungen häufig statt. Nicht immer offen, meist subtil. Dies ist kein Einzelfall. Verbale Verletzungen und Mobbing am Arbeitsplatz sind ein alltägliches Problem, das von Kollegen oder von Vorgesetzten ausgehen kann. Solche und ähnliche Angriffe sind grobe Respektlosigkeiten. Joanna wurde in diesem Moment nicht nur persönlich angegriffen, sie wurde wegen eines nichtigen Fehlers vor anderen blossgestellt. Natürlich hat sie die Personalabteilung darüber informiert. Dort gab es Verständnis und warme Worte, keine Konsequenzen. Niemand hatte den Mut das Thema laut anzusprechen. Niemand spricht darüber, dass schon andere Mitarbeiter dieses Team verlassen haben, weil sie sich im Stich gelassen fühlten von ihrer Führungskraft. Die wirklichen Kündigungsgründe bleiben sehr oft verdeckt, da vor der Kündigung nur mit vorgehaltener Hand über ein kritisches Thema gesprochen wird. Nach der Kündigung spricht niemand mehr darüber. Ich habe in einem anderen Unternehmen erlebt, wie in einem Team innerhalb von 8 Monaten 9 Mitarbeiter kündigten. Ursache war eine Führungsvorgesetzte, die tagtäglich ihre verbalen Grenzen überschritt. Alle wussten es, keine Autorität griff ein.
Erde an CEO
Unternehmensleiter sind meist weit weg von der Basis. Aber genau dort werden sie bei kulturellen Interventionen gebraucht. Sie müssen wissen → wollen, was sich unter der Oberfläche in ihrem Unternehmen abspielt. Um wichtige Entscheidungen treffen und um klug steuern zu können. Unternehmenswebseiten glänzen mit Kulturfloskeln wie Passion, Inspiration, Collaboration u.v.m.. Wann aber werden Führungskriterien eingeführt, die den Mitarbeitern dabei helfen sich gegen überforderte Vorgesetzte zu schützen? Wann werden Führungskräfte in die Pflicht genommen, wenn sie das persönliche und soziale Mitarbeiterwohl vernachlässigen? Es fehlen Instanzen, die Respektlosigkeiten und Übergriffe sanktionieren. Führung braucht Persönlichkeiten, die aktivieren und motivieren können. Ebenso müssen sie STOP sagen, wenn Dinge aus dem Ruder laufen. Auch müssen sie motivierte Mitarbeiter vor sich selbst schützen, wenn diese vor lauter Arbeit kein Ende sehen.
Führung sieht von oben anders aus als von unten
Konsequenz
Joanne hat ihre Kündigung eingereicht. Auf keinem Fall will sie für ein Unternehmen arbeiten, in dem Respektlosigkeit toleriert wird. Das Ereignis hat bei ihr Spuren hinterlassen. Ihre Gedanken drehen sich immer noch um das Thema. Sie ist gut ausgebildet und vernetzt. Um Angebote macht sie sich keine Gedanken, mehr darum, eine Unternehmenskultur zu finden, die sie vor einem respektlosen Umfeld und vor unfähigen Führungskräften schützt. Aufgabe von Führungskräften und von Personalabteilungen ist es, Schaden von Mitarbeitenden abzuwenden – physisch, psychisch und emotional. Vorfälle wie diese klingen als Einzelfall banal. Durch Wiederholungen werden sie zu einer Team-Subkultur, die einen viel grösseren Einfluss auf Krankheitsraten und Fluktuationen hat als die erwünschte Unternehmenskultur. Die Kultur ist die Summe von vielen kleinen täglichen Vorfällen – meistens im eigenen Team – die unter den Teppich gekehrt werden. Sie treiben Mitarbeiter in die Flucht oder machen sie krank. Die wirklichen Gründe für hohe Kündigungs- und Krankheitsraten zu kennen lohnt sich. Denn Führung sieht von oben anders aus als von unten!