Oder wie gesunde Motivation krank machen kann. Ich hatte nie ein Burnout. Dennoch verstehe ich sehr gut, warum Körper und Psyche bei immer mehr Menschen die Notbremse ziehen. Unsere Arbeitswelt hat sich schleichend in eine ‚feindliche‘ Umgebung entwickelt.
Ich sehe es in meiner Arbeit ständig: Wird die intrinsische Motivation von Menschen bei der Arbeit gedeckelt oder läuft sie aus dem Ruder, reagieren Menschen mit tiefer Frustration oder völliger Überarbeitung. Je länger dieser Zustand anhält, desto ungesunder wird es. Ich kenne CEOs die ausgebrannt sind. Es gibt Mitarbeiter, mit und ohne Führungsverantwortung, die tagtäglich in ihren Jobs gegen einen Zustand kämpfen, der gegen ihre Natur läuft. Frustrierte, demotivierte und ausgepowerte Menschen finden sich auf allen Ebenen in Unternehmen.
Wie kann es sein, dass viele Menschen acht Stunden ihrer täglichen Lebenszeit mit Bedingungen hadern, die grundlegend entgegen ihrer Natur sind?
Die Macht der Gewöhnung
Der Mensch besitzt die Fähigkeit sich schnell an unpassende Situationen zu gewöhnen – selbst wenn sie für ihn schädlich sind. Starten wir einen neuen Job sind unsere Sinne offen. Wir hören zu, schauen hin, vergleichen und erkennen oft Optimierungsmöglichkeiten, an der einen oder anderen Stelle. Nach kurzer Zeit werden wir ‚betriebsblind’. Unser Denken passt sich der Umgebung an. Dies ist einer der Gründe, warum Menschen sich mit Situationen abfinden können, die für sie nicht förderlich sind. Vorgesetzte, die sich im Ton vergreifen, missgünstige Kolleg:innen, unrealistische Erwartungen oder Ungerechtigkeiten. Werden Bedingungen, die Druck auslösen zum Alltag, wird es für Menschen ungesund – egal in welcher Position.
Höher, weiter, mehr? Es gibt so viel mehr…
Und so kommt es, dass wir in einem Arbeitsleben feststecken, von dem wir wissen, dass es in sich nicht mehr stimmt. Mehr Geld und höhere Positionen sind faktisch die einzigen Anreize, die Unternehmen anbieten, um passende Fachkräfte anzulocken. Geht es darum, Mitarbeiter:innen zu halten, sieht es leider mau aus. Heute reicht es nicht mehr aus mit Homeoffice oder schicken Arbeitsplätzen zu winken. Es gibt ganz andere Möglichkeiten, um bei Mitarbeitenden die Lust am Tun zu entfachen. Hinter dem etwas schwammigen Begriff ‚Unternehmenskultur‘ versteckt sich ein Sammelsurium an Chancen. Authentische Wertschätzung und ein offenes Ohr können Wunder bewirken. Kontrolle und mehr Autonomie über den eigenen Zuständigkeitsbereich lösen ein Verantwortungsgefühl und Autonomie aus. Gerechtigkeit und eine faire Bezahlung schaffen Zufriedenheit. Soziale Anerkennung und ein Gemeinschaftsgefühl mit motivierten Kollegen führen zu einem Zugehörigkeitsgefühl. Alle meine Klienten wären dafür Wechsel bereit. Es sind die Anreize, von denen sich Arbeitskräfte sofort überzeugen lassen, besonders wenn sie sich aus oben genannten Gründen neu orientieren. Geredet wird darüber viel, wirklich gemacht noch viel zu wenig. Wann beginnen Unternehmen endlich damit, die Power der Unternehmenskultur zu nutzen?
Mitarbeiter:innen und Möglichkeiten
Mitarbeitermassnahmen bleiben in der Regel unter ihren Möglichkeiten. Ob Führungsentwicklung, Team Building oder agile work, über Mitarbeiterinterventionen wird meist die Augen verdreht – hintenherum. Einerseits schüren sie Hoffnung auf Verbesserung, andererseits weiss jeder, dass es Eintagsfliegen sind – sofern sich nicht Grundsätzliches ändert. Selten wird in Workshops die Art der Zusammenarbeit generell überdacht. Es gibt Anpassungen, die niemandem weh tun. Strebt man eine wirkliche unternehmerische Entwicklung an, muss über Funktionen, Positionen und Mitarbeiter neu gedacht und diskutiert werden. Das ist nur möglich, wenn die Massnahmen in ein sicheres, übergreifendes kulturelles Denken und Handeln einbettet sind. Sonst bleiben alle Bemühungen weit hinter positiv messbaren Ergebnissen. Falsch verstandene Versuche haben Mitarbeiter in allen Branchen zwischenzeitlich frustriert.
Die wichtigste Ressource sind die Mitarbeiter:innen? So steht es auf den Unternehmensseiten. Warum nur gibt es dann so viel Unzufriedenheit in Betrieben? Es ist erschütternd, wie wenig Führungsverantwortliche der tatsächlichen Unzufriedenheit ihrer Teams auf den Grund gehen. Wer Menschen führt, muss wissen, was sie treibt und was sie brauchen, um ihr Wissen und Können gerne mit ihren Aufgaben verschmelzen zu lassen.
Der Wandel ist da
Ich erkenne einen ‘Mindshift’ bei allen top ausgebildeten Mitarbeitern, mit denen ich arbeite, der mir sehr gefällt. Alle von ihnen denken sehr bewusst darüber nach, welchen Arbeitsbedingungen sie sich aussetzen wollen. Sie erkennen ihren Wert, sie setzen klare Grenzen und besonders, sie schieben ihr Bedürfnis nach Weiterentwicklung nicht nur ins Privatleben. Sie wollen weiterkommen, sie fordern Arbeitsbedingungen, die sie sich mit ihren Werten vereinbaren lassen und sie wollen Mensch bleiben und nicht wie Maschinen beurteilt werden.
Der Begriff ‚Humankapital‘ stammt aus den 60er Jahren. Es handelt sich um ein weit verbreitetes Konzept, über Mitarbeiter analog zu Maschinen nachzudenken, insbesondere in der Wirtschaft und im Personalmanagement. Die Arbeitskraft von Menschen wurde quantifizierbar dem Output von Maschinen gleichgesetzt. Grundsätzlich sollte das Konzept unterstreichen, wie wichtig es ist, in die Fähigkeiten, das Wissen und die Entwicklung der Mitarbeiter zu investieren. Man erkannte, dass diese Investitionen für den Einzelnen als auch für Unternehmen langfristige Vorteile bringen. Leider werden bis heute die emotionalen und sozialen Bedürfnisse von Menschen bei der Arbeit vernachlässigt. Menschliches Potenzial ist komplex. Ungleiche Möglichkeiten zur Entwicklung und Zugang zu Chancen werden oft außer Acht gelassen, was sich beispielsweise in Hierarchiestufen zeigt, die engagierte Mitarbeiter am Weiterkommen hindern oder sie künstlich klein halten.
Motivierte Menschen werden zu engagierten Mitarbeitern, wenn die Bedingungen stimmen. Sie suchen Chancen und wollen zeigen, was sie können. Neben einer fairen Bezahlung suchen sie eine Arbeitsumgebung, die ihren Fähigkeiten entspricht, in der sie sich entwickeln können. Unternehmen, die es schaffen Mitarbeitern auf allen Ebenen das Gefühl zu geben ein Mensch sein zu dürfen, haben exzellente Voraussetzungen motivierte Menschen anzuziehen. Wenn sie dann Entwicklungsmöglichkeiten schaffen, die nicht an Hierarchiestufen scheitern, werden sie keine Probleme haben Mitarbeiter zu halten.
Offenheit, Mut, Wille und Zeit
Diese Art der Intervention funktioniert nicht von heute auf morgen. Es erfordert den Willen des Top-Managements an ihre Mitarbeiter zu glauben, sie mehr als Mensch und weniger als Kapital zu sehen. Es zahlt sich nicht nur aus durch Engagement, Loyalität und Mitdenken jedes einzelnen, sondern lässt sich messen in sinkenden Burnout-Raten, niedrigen Krankheitszahlen, wenig Mitarbeiterwechseln und einer steigenden Auswahl an Top-Bewerbern.
Alle High-Performer, die ich kenne, wollen ausschliesslich in inspirierenden Unternehmenskulturen arbeiten. Und sie werden sie finden.